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Assistenzhund als lebensrettende Hilfe

Zukunft mit Assistenzhund?!

1. Teil: Die Vorbereitung

Simons Form der Epilepsie ist unheilbar. Mit ihren Risiken lebt er seit langem, aber auch seine Familie und seine Freunde sind ständig gefordert. Ein Anfall kündigt sich nicht an, sondern macht ihn in Sekundenschnelle sprach- und handlungsunfähig. Ein Reflex hilft ihm zwar, sich sofort hinzusetzen, aber das kann auch da sein, wo es gefährlich werden könnte, zum Beispiel mitten auf der Straße. Außenstehende erkennen oft nicht den Ernst der Lage.

Sein eingespieltes soziales Netz hilft ihm, ein weitgehend aktives Leben zu führen. So kann er neben Schule und Freizeit mit engen Freunden Leichtathletik in der Spiel- und Sportgemeinschaft Königswinter trainieren, sogar im NRW-Kader der Parasportler. Seine Behinderung hindert ihn auch nicht daran, sich sozial im Kindergarten und in der Jugendarbeit der katholischen Kirchengemeinde Königswinter zu engagieren.

In jüngster Zeit haben seine Anfälle an Häufigkeit und an Schwere allerdings zugenommen. „Wir sind immer in Alarmbereitschaft“, sagt seine Mutter. Raus in die Welt gehen, wie es junge Leute in diesem Alter tun, machen, worauf man Lust hat, seinen eigenen Weg finden, das alles wird in dieser Situation zur täglichen Herausforderung. Simons Eltern suchten eine Möglichkeit, ihrem Sohn neue Perspektiven zu eröffnen. Sie erhoffen sich von einem Epilepsiewarnhund nicht nur Unterstützung für Simon, sondern auch Entlastung für die Menschen in seiner Nähe.

Ein Assistenzhund, der vor einem epileptischen Anfall warnen kann, ist nicht nur robust, stressresistent und ein zuverlässiger Begleiter, sondern auch besonders wachsam und feinfühlig. „Er muss mich mehrere Minuten vor meinem Anfall warnen können, so dass ich rechtzeitig meinen Notfallknopf drücken oder andere Hilfe holen kann“, sagt Simon.

Besonderes Talent für solche Warndienste haben vor allem Labrador-, Retriever- oder Pudelarten. Die tatsächliche Eignung eines Hundes muss dann aber sehr früh und gründlich geprüft werden, bevor eine intensive und daher teure Ausbildung beginnt. Die Tests der Trainerinnen und Trainer für mögliche Kandidatenhunde beginnen bereits eine Woche nach einem neuen Wurf.

Wer sich wie die Familie von Simon über Trainerinnen oder Trainer und Ausbildungszentren informieren möchte, wird im Internet schnell fündig. „Leider mit sehr unterschiedlicher Qualität“, sagt Simons Mutter rückblickend nach viel Recherchezeit. Um alle ihre Fragen zu klären und Sicherheit für ihre eigenen Entscheidungen zu gewinnen, hat die Familie ein kostenpflichtiges Beratungsgespräch bei einem erfahrenen Trainer in Anspruch genommen. „Das können wir nur allen raten, die so etwas vorhaben“, ergänzt Simons Vater.

Auf zwei unterschiedlichen Wegen kann man zu einem speziell trainierten Assistenzhund kommen: zum einen über die Selbstausbildung im Tandem mit den zukünftigen Assistenznehmenden zu Hause, die von einer Trainerin oder einem Trainer dort begleitet wird, zum anderen über eine Fremdausbildung beim Trainer selbst. Anschließend finden Kennenlernen und Training im familiären Umfeld statt.


Simon selbst brauchte einige Zeit, sich mit der Idee eines ständigen tierischen Begleiters anzufreunden. Er brach nicht gleich in eine Riesenbegeisterung aus. Wie die meisten jungen Menschen technikaffin, wäre ihm ein elektronisches Gerät lieber gewesen, das er bei sich tragen kann. Die Erprobung von technischen Sturzsensoren hatte jedoch gezeigt, dass sie sich bei seiner Epilepsieform nicht eignen.

Die Auseinandersetzung mit dem Assistenzhund-Plan fiel auch aufgrund seines Autismus nicht ganz leicht:
Kann Simon die Verantwortung für den Hund selbst tragen?
Wie finden es seine Mitschüler, wenn er immer einen Hund dabeihat? „Da muss man schon alle Fakten des Für und Wider abwägen und darüber auch eine Nacht schlafen“, sagt Simon. Die Familie hat bereits zwei kleine Hunde. „Die sind manchmal schon sehr wild und laut. Das will ich auf keinen Fall immer um mich“, stellt Simon klar. Überzeugt hat ihn, dass Epilepsiewarnhunde zurückhaltend, ruhig sowie gut erzogen und pflegeleicht sind. Mittlerweile schmiedet er neue Pläne: Wieder „allein“ Bus fahren, vielleicht wieder joggen mit dem Brustgurt und Partys mit den Freunden, ohne auf die Uhr zu schauen. Das sind für ihn reizvolle Aussichten.

Aktivität bedeutet Simon viel
Aktivität bedeutet Simon viel

Wegen Simons Gesundheitszustand kam für seine Eltern allerdings nur die teure Fremdausbildung in Frage. Eine unüberwindbare Barriere erschien dafür zunächst, dass 40.000 Euro Anschaffungspreis mit einem Schlag privat verfügbar gemacht werden musste. Kosten für Prüfungen, Trainings, Versicherungen und die laufende Haltung des Hundes sind da noch gar nicht eingerechnet.

Hintergrund dieses Problems ist, dass es bisher an einer gesetzlichen Praxis zur Unterstützung eines selbstbestimmten Lebens mit Hilfe eines Assistenzhundes fehlt. Die Bundesregierung hat nun im Teilhabestärkungsgesetz dazu Änderungen vorgelegt, insbesondere Qualitätsstandards zur Ausbildung und Prüfung der Mensch-Assistenzhund-Gemeinschaft und Ansätze der Kostenfinanzierung. Die Umsetzung der Rechtsverordnung dauert jedoch. „Chancengleichheit würde auch hergestellt werden, wenn Epilepsiewarnhunde wie Blindenführhunde als Hilfsmittel von den Krankenkassen finanziert würden“, sagt Simons Vater. Dafür setzt sich jetzt am Beispiel von Simon der BDH mit seiner juristischen Expertise ein.

Simons weiterer Weg nach der Schule beginnt allerdings jetzt. Er kann nicht warten, die Weichen für seine Zukunft müssen schnell gestellt werden. Die Eltern des Abiturienten und Matheasses wurden deshalb selbst aktiv.

Mit einem Spendenaufruf über die Instagramseite simon_epihund stießen sie auf große Offenheit. Dankbar sind sie auch über jede Menge kreativer Crowdfundingideen von Freunden und Bekannten. Sie wandten sich darüber hinaus erfolgreich an viele Stiftungen. Mit 20.000 Euro leistete die BDH-Stiftung den größten finanziellen Beitrag für das Vorhaben. BDH-Stiftungsvorstand Christine Neisemeier sagt dazu: „Wir unterstützen mit Simon einen aktiven jungen Mann, der sich auch für andere einsetzt. Sein Beispiel möge Schule machen für eine inklusive Zukunft.“


Mit dieser großen Unterstützungswelle konnte nun eine tierische Assistentin gefunden werden. In wenigen Wochen wird der Königspudel „Nikita“ ihr Training in Simons Zuhause beginnen.

Seine Mutter freut sich: „Tiere können so viel Positives bewirken. Ich hoffe, dass Simon und seine Assistenzhündin eine tolle Verbindung bekommen. So kann ich etwas von der mütterlichen Sorge um Simon loslassen. 

Bis heute bin ich in der schwierigen Situation zwischen zwei Gefahren: ihn zu stark behüten zu wollen und dem realistischen Risiko für seine Gesundheit und sein Leben.“ 

Die Hündin wird in jedem Fall viel verändern, ist sich Simons Vater sicher: „Simons Aktionsradius wird sich vergrößern. So wird ihm mehr Eigenständigkeit und Entwicklung möglich. Wir sind alle gespannt darauf.“

Zukunft mit Assistenzhund?!

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2. Teil: Nikitas Ankunft

Es ist wohl so wie unter Menschen: Der erste Eindruck ist entscheidend, um eine gute Beziehung aufbauen zu können. Auf jeden Fall ist eine enge Bindung für die Arbeit eines Epilepsiewarnhundes von elementarer Bedeutung. Nur dann erkennt der Warnhund epileptische Anfälle zuverlässig, bevor sie auftreten.

Simon ist darauf angewiesen, dass Nikita so arbeitet, dass er angstfrei und selbstständig seinen Tagesablauf gestalten kann und sicher gewarnt wird.

Nachdem das erste vorsichtige Kennenlernen zwischen der zweijährigen Großpudeldame Nikita und Simon bei der Trainerin zuversichtlich stimmte und ein Vertrag zwischen ihm und der Trainerin geschlossen wurde, musste sich der Kontakt nun auch im persönlichen Umfeld des 18-Jährigen bewähren: sowohl zu Hause als auch beim Arzt, in der Therapie, in der Schule, unter Freunden oder beim täglichen Einkauf.

Für zwei Wochen Probezeit reiste die Trainerin Sylvia Gerdes mit Nikita im Februar 2023 nach einer zweijährigen Ausbildung an.

Das erste Ziel: Simon musste das Handwerkszeug lernen, um Nikita Kommandos zu geben und sie zu verstehen. Nikita musste ihrerseits lernen, auf die Kommandos von Simon zu hören. Herauszufinden war auch, wie genau Nikita ihn vor einem epileptischen Anfall warnen würde.

Beide lernen schnell und schon in den ersten Tagen wird klar, dass sie einen guten Draht zueinander haben und gegenseitiges Vertrauen aufbauen können. Bereits bei ihrer Ankunft war Nikita direkt auf Simon zumarschiert, ohne die anderen Familienmitglieder, darunter auch zwei kleine Hunde, besonders zu würdigen. Schon am zweiten Tag beginnen sie unter Anleitung der Trainerin gemeinsam zu arbeiten. Diese zieht sich immer mehr aus der Beziehung zurück, damit Nikita sich voll auf ihre neue Arbeitsbeziehung konzentrieren kann. Auch die anderen Familienmitglieder und Freunde müssen sich in ihren Interaktionen mit dem Assistenzhund einschränken, damit dieser nicht abgelenkt wird.

Nach der Abreise der Trainerin begann für Simon und Nikita eine einmonatige Phase des Zusammenfindens, der Gewöhnung und des Einspielens von Alltag. Eine große Verantwortung für den 18-Jährigen und eine erste Bewährungsprobe für ihre Beziehung. Nur, wenn Nikita jederzeit in enger Verbindung mit ihrem Herrchen bleibt, auch auf Spaziergängen voller Ablenkung, kann sie ihre Warnarbeit gut verrichten.

Bei ihrem zweiten Besuch in der Familie, überzeugte sich Sylvia Gerdes von der Qualität der Bindung zwischen Simon und Nikita und inwieweit die Routine in der Arbeitsbeziehung zwischen beiden in allen konkreten Lebensbereichen funktioniert. In Gesprächen mit Simon bietet sie da Verbesserungen an, wo es noch nicht perfekt klappt. Sie sagt: „Es ist wie bei der Fahrschule. Zunächst lernt man Autofahren, dann geht es darum, in der intensiven Fahrschule Routine zu bekommen und Fehler zu beseitigen, um sich dann gut vorbereitet bei der Prüfung anzumelden. Beide sind auf einem guten Weg, auch, wenn es noch an der einen oder anderen Stelle optimiert werden kann“.


Sylvia Gerdes muss genau hinsehen, denn es gelten neue, ziemlich strenge gesetzliche Regelungen für Assistenzhunde. Zum Abschluss der gesamten Ausbildung wird nicht nur der Hund geprüft, sondern auch die sogenannte Mensch-Assistenzhund-Gemeinschaft. Die Prüfung dient laut Gesetzgeber dem Nachweis der sicheren Beherrschung des Grundgehorsams und des zuverlässigen und sicheren Sozialverhaltens des Hundes sowie andererseits der speziellen Unterstützungsleistungen, die der Hund für den Menschen mit Behinderung erbringt. 

Kontrolliert werden soll insbesondere, ob sich die Mensch-Assistenzhund-Gemeinschaft sicher in der Öffentlichkeit bewegt, in alltäglichen Situationen einwandfrei und sicher zusammenarbeitet und der Hund seine erlernten Fähigkeiten unter Alltagsbedingungen auch außerhalb des häuslichen Umfelds zeigt.
Das gilt für Simon derzeit besonders in der Schule, in der er sich gerade auf seine Abiturprüfungen vorbereitet. Zur Eingewöhnung war die Trainerin auch dort anfangs dabei.

Zukunft mit Assistenzhund?!

Schon vor ihrem ersten Schultag wurde Nikita als neue „Mitschülerin“ auf der Website des Gymnasiums begrüßt und vorgestellt. Mit ihrer Kenndecke ist sie für alle als Assistenzhund erkennbar. Mit einer Schuldurchsage wurde darum gebeten, sie bei ihrer wichtigen Aufgabe nicht abzulenken, nicht an sie heranzutreten und sie nicht anzusprechen.

Ihre Anwesenheit wurde in wenigen Tagen zur Selbstverständlichkeit. Bedenken, die es vor ihrem Einsatz gab, konnten sofort ausgeräumt werden.

In der Öffentlichkeit seiner Heimatstadt muss Simon manchmal mehr Überzeugungsarbeit leisten, obwohl gekennzeichnete Assistenzhunde wie Nikita Zutritt auch da haben, wo es sonst nicht erlaubt ist. Zum Beispiel in Supermärkten. Nicht jedem ist das aber bekannt. Die ersten Diskussionen in Geschäften um die Ecke hat Simon bereits hinter sich. Ruhig, aber selbstbewusst, verweist er dabei auf gesetzliche Regelungen. Schließlich sieht er sich als so etwas wie einen Botschafter, damit der Einsatz von Assistenzhunden bekannter wird.

Bis sich sein Wunsch erfüllt, dass keiner mehr fragt und Assistenzhunde überall als Begleiter selbstverständlich werden, wird es allerdings noch dauern. Auch der BDH-Stiftung ist dieses Anliegen besonders wichtig. Sie hat daher die Anschaffung des Assistenzhundes finanziell unterstützt. Auch sozialrechtlich sind die Weichen noch nicht auf volle Anerkennung von Assistenzhunden gestellt. Deshalb begleiten BDH-Juristen Simon und seine Eltern aktuell bei ihrem Kampf, Nikita als Epilepsiewarnhund im Sinne der Hilfsmittelverordnung anerkennen zu lassen.

Im 3. Teil der Serie wird über den Assistenzhund Nikita berichtet.

Ines Nowack
Redakteurin BDH-Magazin

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